Dr. Franz Graf-Stuhlhofer

Zum Buch von Herbert Matis über die Wiener Akademie 1938-45

Herbert Matis: Zwischen Anpassung und Widerstand. Die Akademie der Wissenschaften in den Jahren 1938-1945.
Wien 1997 (67 S.).

Matis urteilt über die Untersuchung von Graf-Stuhlhofer, „daß er nicht nur die Aktenbestände gründlich aufgearbeitet sondern sich dabei auch um eine durchaus differenzierte Stellungnahme bemüht hat“ (S.10).

Vermutlich greifen viele Interessierte jetzt eher nach dem Buch von Matis als nach meinem im Rahmen eines Sammelbandes erschienenen Beitrag (der bei traditioneller Literatursuche weniger auffällig ist als ein „selbständiges“ Buch). Daher will ich hier auf einige Probleme hinweisen, damit nicht ungeprüft von Matis übernommen wird.

Ungenaue Wiedergabe

Matis nimmt die Aussagen von Quellen und Sekundärliteratur nur ungenau wahr. Als Beispiel nenne ich die nach dem Anschluss von Fritz Knoll (Universitätsrektor und Akademiemitglied) übernommene Aufgabe, in Bezug auf die Akademie die Interessen der NSDAP zu wahren. Diese Aufgabe wurde im März 1939 vom Akademie-Präsidenten Srbik beendet, wobei seine Begründung unterschiedlich war: An die Gauleitung hatte Srbik geschrieben, dass diese Aufgabe nur für die Übergangszeit gedacht war und sich mittlerweile erübrige. Dagegen schrieb er an den bisherigen Inhaber Fritz Knoll, dass nunmehr Srbik selbst diese – somit weiterhin bestehende – Aufgabe wahrnehme (dazu Graf-Stuhlhofer S.136). Matis S.19f bringt nun Begründung und Adressat in eine falsche Verbindung: Er behauptet, dass die Gauleitung 1939 zur Kenntnis nahm, dass Srbik die Aufgaben des NSDAP-Beauftragten in Hinkunft selbst übernehmen wollte.
Der von mehreren Behörden (Deutsche Botschaft, Auswärtiges Amt, Erziehungsminister) ohne eigene Stellungnahme weiterge­leitete Wunsch eines Brasilianers, korrespondieren­des Mitglied einer deutschen Akademie zu werden, wird bei Matis S.39f zu einem „Ansinnen des Auswärtigen Amtes“ (bei Graf-Stuhlhofer S.141).
Bei der Wahl neuer Mitglieder hatten die jeweils Vorschlagenden eine schriftliche Begründung mitzuliefern. Diese Begründungen zeigen tw. NS-Nähe. Dabei unterschied ich eindeutige NS-Nähe (wenn z.B. auf das rassenhygienische Engagement eines vorgeschlagenen Forschers hingewiesen wird) von möglicher NS-Nähe (wenn z.B. bei einem vorgeschlagenen Forscher darauf hingewiesen wird, wie eng er mit der deutschen Wissenschaft verbunden ist; Graf-Stuhlhofer S.144ff).
In diese Unterscheidung bringt allerdings Matis S.37 Verwirrung hinein, indem er meine Einschätzung folgendermaßen wiedergibt: „Begründungen wie ‘rassenhygienische Bestrebungen’, ‘scheinbar deutsch-national’, ‘bekannt deutschfreundliche Gesinnung’ gelten ihm als eindeutige Kriterien“. Das stimmt jedoch nicht, denn nur das bei Matis Erstgenannte ist für mich tatsächlich eindeutig, die anderen von Matis genannten Begründungen dagegen wurden von mir als mögliche NS-Bezüge gewertet. Matis’ anschließende Hinterfragung der mir von ihm fälschlich unterstellten Einordnung als „eindeutige Kriterien“ – „weil der­artige Hinweise dem damaligen Zeitgeist entsprachen und nicht unbedingt einen NS-Bezug bedeuten müssen“ – ist somit überflüssig, denn diese von Matis erläuterte Überlegung lag ja ohnehin meiner Unterscheidung zugrunde.

Begriffliche Ungenauigkeiten

Laut Matis (S.13 sowie Fn.9) erhielt die Wiener Akademie nach dem Anschluss von ihren „Schwester-Akademien“ in Halle, München und Heidelberg „Glückwunschtele­gramme“ (richtig wäre: Briefe). Bei Graf-Stuhlhofer S.135 ist differenziert angegeben, woher die Akademie Briefe erhielt und woher Telegramme (diese aus Berlin und Leipzig – die zuletzt genannte Akademie wurde von Matis übersehen).
Der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich brachte auch für die Wiener Akademie mehrere Umstellungen mit sich. Es kam bald zu einer „Vorläufigen Satzung“ (die das Schicksal mancher „Provisorien“ teilt …). Matis verwendet nicht immer die originale Bezeichnung, sondern schreibt mitunter „Vorläufige Satzungen“ (Fn.35) oder spricht von „vorläufigen Statuten“ (S.26). Das könnte verwirren, gemeint ist jedoch auch bei Matis immer derselbe Text.
Während Matis selbst zuerst richtig angibt, dass die „Vorläufige Satzung“ im Juli 1938 genehmigt wurde (S.23), nennt er dafür später den Oktober 1938 (S.28). (Bei Graf-Stuhlhofer S.135.)

Zahlen-Fehler

Ein Missgeschick unterlief bereits beim Inhaltsverzeichnis (Matis S.5) – die meisten dort genannten Seitenzahlen sind falsch (nämlich zu niedrig, ab S.21), und falsch sind auch die rechten Seitenüberschriften ab S.61.
Richard Meisters 1947 erschienener Geschichtsbericht reicht natürlich nur bis dahin und nicht in die Zukunft hinein; Matis gibt „1847-1949“ an (Fn.3).
Die Sitzungen der Akademie wurden fortlaufend nummeriert; für die Sitzung im Mai 1941 nennt Matis (Fn.60) als Nr. des Protokolls A 969 (richtig wäre A 962). (Dass die von Matis genannte Nr. nicht stimmen kann, wird bereits in seiner nachfolgenden Fn. deutlich, die auf die Sitzung im Juli 1941 mit Nr. A 964 verweist; denn die frühere Sitzung kann keine höhere Nr. haben als die spätere.)
Matis bezieht sich in Fn.106 auf eine Sitzung (A 990) vom 5.1.1944, aber an diesem Tag fand überhaupt keine Sitzung statt. Die als A 990 protokollierte Sitzung fand erst viel später statt, nämlich am 24.Nov. 1944.
Ein falscher Zeitpunkt wird auch für die Streichung von Ernst Späth genannt: Matis (Fn.22) meint, dass jener als Mitglied der Leopol­dina in deren Matrikelbüchern „im März 1937“ gelöscht wurde, während an der als Beleg genannten Stelle des Leopoldina-Bandes dafür der November 1938 angegeben ist. Wie kam es zu diesem Versehen? Der genannte Band nennt zwar auf S.174 oben die Überschrift „im März 1937“; vor dem Namen Ernst Späth  (S.175 Mitte) stehen aber noch weitere – von Matis anscheinend übersehene – Überschriften mit Zeitangaben. (Der richtige Zeitpunkt wird genannt bei Graf-Stuhlhofer Anm.16.)