eine unkonventionelle Geschichte Österreichs von Ernst Karl Winter
erschienen in der Zs. Österreich in Geschichte und Literatur 63 (2019) S.98fErnst Karl Winter: Die Geschichte des österreichischen Volkes, hg. von Paul R. Tarmann (2018)
aus meiner Rezension:
... Für die Geschichte des österreichischen Volkes sind, so Winter, neben dem Deutschtum „mindestens ebenso sehr“ wichtig auch das Romanentum und das Slawentum (23). Es ergab sich „jene Form der Verösterreicherung, in der Romanen, Slowenen und Bajuwaren ein neues Volk wurden, das sich der deutschen Sprache als seiner Lingua Franca bediente“ (117). ...
Oft klingen Winters Behauptungen pauschal, etwa wenn er schreibt: „das Jahrhundert Rudolphs IV. […] war eine richtige Vorwegnahme der Reformation auf allen Gebieten.“ (281) Dass die Reformation in Österreich nicht bleibend verankert wurde, führt Winter auf die „Immunität des österreichischen Volkstums gegenüber diesen Einflüssen“ zurück (281), als ob die Reformation primär „von unten“ abgelehnt worden wäre, nicht „von oben“ vernichtet. Winter meint, dass im 16. und 17.Jh. beide Seiten Gewalt anwandten, und der Katholizismus mit Gewalt auf Gewalt reagieren musste (282f). Aber die Hinrichtung vieler Täufer und die Vertreibung der Lutheraner durch Habsburgerherrscher war in Österreich keineswegs eine Reaktion auf Gewalt!
Winter meint, dass zur Zeit der Reformation in Österreich vor allem Priesterehe und Laienkelch angestrebt wurden, also ostkirchliche Praktiken (280f); aufgrund des slawischen Einflusses in Österreich waren hier diese beiden reformatorischen Anliegen ohnehin seit langem präsent (aber ohne dass es jemals zur Umsetzung kam). Die darüber hinausgehende, eher intellektuelle und eher Adel und Bürgertum ansprechende Reformation verknüpft Winter stark mit dem „Germanismus“, der seiner Meinung nach einen für Österreich ungesunden Einfluss ausübte. Daher „muß man die Durchführung der Gegenreformation in Österreich als die größte staatsmännische Leistung und ein überragendes Glück für seine Bevölkerung betrachten“ (283). Als Freikirchler und Kirchenhistoriker bin ich hierin gegenteiliger Ansicht, denn diese „Leistung“ und dieses „Glück“ verleiteten viele Österreicher zur weltanschaulichen Unaufrichtigkeit – sie lernten, dass es vor allem auf äußere Anpassung ankomme, um Schwierigkeiten zu vermeiden. ...
Fazit: Winters Versuch, die spezifische, die Jahrhunderte überdauernde Eigenart des „österreichischen Volkes“ herauszustellen, ist wohl eher zur Geschichtstheorie zu rechnen, nicht zur Sozialgeschichte. Die eigenwilligen Thesen dieses Querdenkers können von Historikern als Anregungen aufgenommen werden.